2011/06/25

[Konzerte] Jimmy Eat World - 19.06.2011 - Support: Fehlanzeige - Batschkapp/Frankfurt

Photo by Zach Lind
London wurde diesmal im Tourplan von Jimmy Eat World ganz besonders berücksichtigt: "Clarity" und "Bleed American" sollten bei diesem Termin in der englischen Hauptstadt komplett durchgespielt werden. Ein Traum. Die restlichen Alben der Band sind natürlich auch alle von höchstem Niveau, aber "Clarity" und "Bleed American" sind unerreicht und stellen ganz besondere Fixpunkte in der Karriere Jimmy Eat Worlds dar. "Clarity" bestach durch seine immense Emotionalität und Tiefgang der seinesgleichen suchte. "Bleed American" hingegen war für viele wie ein musikalisches Tagebuch. Perfektionistische Popsongs für jede Lebenssituation. Alles in allem sind "Clarity" wie auch "Bleed American" zeitlose musikalische Referenzwerke, die noch Jahre überdauern werden.

Daher blickte man also voller Neid auf die Briten, die in den Genuss eines solchen Konzerts kamen. Das Konzert in Frankfurt wurde relativ kurzfristig angekündigt und dies geschah ohne die Bekanntmachung, dass es sich eventuell um eine wirklich besondere Show handeln könnte. Man konnte also eigentlich davon ausgehen, dass es sich um ein normales Konzert handelt, bei dem Jimmy Eat World die Zuhörer mit einer gelungenen Mischung aus ihren bisherigen Veröffentlichungen beglücken würden. Aber manchmal kommt es eben ganz anders.

Auf eine Vorband wurde gänzlich verzichtet, so dass um kurz nach neun Jim Adkins, Zach Lind, Rick Burch und Tom Linton die Bühne der natürlich ausverkauften Frankfurter Batschkapp betraten. Mitgebracht hatten sie außerdem Courtney Mary Andrews die teilweise gesanglich unterstütze und das Keyboard bediente. "Sweep the dirty stairs / The ones I waited on". Mit dem sanft dahingleitenden "Table For Glasses" sollte der Abend also eröffnet werden. Mutig. Aber da hatten wir also den ersten Song von "Clarity". Zufall? Vielleicht. Jim Adkins Stimme klang klarer als je zuvor und schon jetzt war ihnen ihre unbändige Spielfreude anzumerken. Der Song beginnt langsam, steigert sich stetig und explodiert dann zu dem Zeitpunkt als Adkins "Lead my sceptic sights" ins Mikrofon schmettert. Traumhaft.

 

Ohne sich groß feiern zu lassen ging es mit "Lucky Denver Mint" weiter. Da hatten wir also den zweiten Song von "Clarity". Zufall? Jim Adkins teilte dem Publikum nach dem Song mit, dass man in den USA eine Tour gespielt und dabei "Clarity" zu dessen 10-jährigen Jubiläum komplett durchgespielt hat. Und da man dies in Europa noch nicht getan hätte, würde man es jetzt tun. Also kein Zufall. Damit hatte wohl keiner gerechnet. Verwunderung beim Publikum schlug schnell in Begeisterung um. Wer die Tracklist von "Clarity" kannte, wusste also genau was auf ihn zukommen würde.

"Your New Aesthetic" brilliert dann durch die Gesangsdoppelpässe von Jim Adkins und Tom Linton. Diese werden von Klangwänden und Melodien unterlegt, die nur Staunen hervorrufen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war sich jeder bewusst, dass an diesem Abend etwas ganz besonderes passieren würde. Es folgten "Believe In What You Want" und das unglaubliche "A Sunday". Es hatte fast den Anschein, als ob die Band ihre letzte Show spielte, so sehr verausgabten sie sich. Die Textzeile "Like a breath / Like a breath" von "Crush" schreit Adkins mit geschlossenen Augen regelrecht in den Saal. "Clarity" wird nicht einfach runtergespielt. Sie wird geradezu runterzelebriert. Mit dem selten gespielten "12.23.95", "Ten", "Just Watch The Fireworks" und "For Me This Is Heaven" folgte dann die ruhige Phase der Platte. "Can you still feel the butterflies / Can you still hear the last good night" sind sicher mit die bekanntesten Textzeilen aus dem Repertoire von Jimmy Eat World und das darauffolgende instrumentale Intermezzo des Songs kommt einem vor wie aus einer anderen Sphäre.

"Blister" gehört dann ganz Tom Linton und ist einer der vielen Höhepunkte eines jeden Jimmy Eat World Konzerts. "And how long would it take me to walk across the United States alone / The west coast has been traumatized and I think I am the only one still alive". Wenn der ganze Saal gemeinsam mit Tom Linton diese Zeilen singt ist Gänsehaut garantiert. Auf "Clarity" folgt dann das "Goodbye Sky Harbor". "So here I am above palm trees so straight and tall / You are small getting smaller / But I still see you". Epische zehn Minuten stehen am Ende für "Goodbye Sky Harbor" zu Buche. Jimmy Eat World verlassen daraufhin die Bühne. Und was sollte jetzt denn noch überhaupt kommen? Eines der besten Alben einer Generation wurde am Stück durchgespielt. Mit ein paar Zugaben wäre wohl jeder zufrieden gewesen. Das euphorisierte Frankfurter Publikum forderte lautstark mehr und die Band kam mit "Bleed American" zurück. Es gab nun wirklich kein halten mehr und die halbe Batschkapp hüpfte vor Freude. Aber bei "Bleed American" handelte es sich natürlich auch um den ersten Song des gleichnamigen Albums. Zufall? Vielleicht. Daraufhin folgte "A Praise Chorus". Bekanntlich der zweite Song der "Bleed American". Zufall? Jim Adkins ergriff wieder das Wort und verkündetete das Unglaubliche. Auch dieses Album sollte von vorne bis hinten durchgespielt werden. Mit Verzücken nahm der Saal diese Äußerung zur Kenntnis. Also wieder kein Zufall.

Es war eine Weltpremiere in der Batschkapp zu Frankfurt am Main. "Clarity" und "Bleed American" am Stück. Das hatte es so noch nicht gegeben.

„The Middle“, ihr bisher größter Hit, war natürlich als nächstes dran. Obwohl schon tausend mal gehört, hat der Song live keinerlei Abnutzungserscheinung aufzuweisen. Beim folgenden „Your House“ wurden der Band dann technische Probleme zum Verhängnis. Die Akustikgitarre wollte nicht funktionieren. Die Zeit wurde mit einem Gespräch mit dem Publikum überbrückt. Als die Instandsetzung komplett fehlschlug kommentierte Adkins dies mit einem ironischen „We are Jimmy Eat World – a professional rock-band“. Schade, denn es wäre sicher die neue und ruhigere Version von „Your House“ geworden, welche auf der „Bleed American Deluxe Version“ zu finden und eine mehr als gelungene Neuinterpretation ist. Die Enttäuschung über den Ausfall dieses Songs hielt sich jedoch in Grenzen, da „Sweetness“ auf den Fuß folgte. Auch hier verwandelte sich die Batschkapp in einen großen Gesangsverein und der Aufforderung „Sing it back“ von Adkins wurde natürlich nachgekommen.

Auf diese sehr euphorischen Songs folgte dann „Hear You Me“. Das wahrscheinlich traurigste und gefühlvollste Lied, welches Jimmy Eat World je geschrieben haben. „On sleepless roads the sleepless goes / May angels lead you in“. Aber natürlich war nach diesem Song die Stimmung keineswegs gedrückt, da mit „If You Don’t Don’t“ und „Get It Faster“ wieder zwei Lieder mit einer positiven Grundstimmung vorgetragen wurden. In der Batschkapp herrschten mittlerweile tropische Temperaturen, was der Spielfreude von Adkins jedoch nicht abträglich war. Und auch seine Kollegen ließen sich keine Müdigkeit anmerken. Zach Lind bearbeitete gewohnt souverän seine Drums, Bassist Rick Burch verfolgte das Geschehen von der rechten Seite der Bühne und ließ sich ab und zu ein Lächeln entlocken und der schüchterne Gitarrist Tom Linton versah routiniert und konzentriert seinen Dienst. Für die seltene, aber daher nie aufgesetzte, Konversation mit dem Publikum war wie immer Jim Adkins zuständig. Also alles beim Alten.

Dem äußerst selten gespielten „Cautioners“ folgten dann „Authority Song“ und das wunderbare „My Sundown“. „Good goodbye, lovely time / Good goodbye, tinsel shine / Good goodbye, I'll be fine / Good goodbye, good goodnight“. Die Band verschwand daraufhin von der Bühne und die letzten Zeilen von „My Sundown“ wären doch eigentlich der perfekte Schlusspunkt eines perfekten Abends gewesen. Das euphorisierte Publikum forderte jedoch wieder lautstark mehr, obwohl eigentlich niemand mehr etwas erwartete, denn jede Erwartung wurde bei weitem übertroffen.

Aber es kam wie es kommen musste. Unter tosendem Applaus betrat die Band wieder die Bühne und jeder fragte sich was jetzt noch kommen sollte. Da genauso wie „Clarity“ und „Bleed American“ auch „Futures“, „Chase This Light“ und „Invented“ zur Vita und Geschichte Jimmy Eat Worlds gehören wurde im Zugabenblock mit „My Best Theory“, „Work“, „Big Casino“ und „Pain“ eine Mischung aus eben diesen Alben dargeboten. „My Best Theory“ klingt live um Längen besser als auf Platte. „Work“ gehört nach wie vor zu den besten Singleauskopplungen der Band und besticht durch einen Chorus der Extraklasse. „Big Casino“ überwältigt wieder durch das Zusammenspiel von Adkins und Linton und das finale „Pain“ verlangt dann nochmal die letzten Kraftreserven von Band und Publikum.

Nach etwas mehr als zwei Stunden, zwei durchgespielten Alben und einem Zugabenblock war diesem außergewöhnlichen und bis dato längsten Konzert in der langen Historie von Jimmy Eat World also ein Ende gesetzt. Beim Verlassen des Saals blickte man nur in entzückte Gesichter, die immer noch nicht glauben konnten, was gerade geschehen war. Danke Jimmy Eat World. Habe ich das ganze eigentlich geträumt? Mich sollte mal jemand kneifen.

Fotos

1 Kommentar:

  1. Exzellentes Review: ich war auch dabei und muss sagen - WELTKLASSE !!!

    JG

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