2010/12/18

[Interviews] Old Seed

Craig Bjerring als Old Seed. In einem winzigen PKW fährt er auf den Parkplatz, seinen gewaltigen, dunklen Bart sehe ich schon von weitem durch die Windschutzscheibe. Er steigt aus dem Wagen, von größerer Statur als ich erwartet hätte und kommt auf mich zu. Begleitet wird er von seinem Kompagnon Sascha Schmitt, klein, helle Haare – kein Bart. Ich könnte mir keinen besseren optischen Gegenpart vorstellen.


Nachdem die Tücken des Aufnahmegeräts schließlich unter Kontrolle gebracht wurden, und sich Craig sowie Sascha mit Kaffee versorgt haben, beginnt nun das Interview. Ich sitze auf einer Bank in der Spätnachmittagsonne, Craig mir gegenüber auf einem grünen Gartenstuhl, seine Augen funkeln, er lässt sich ein auf meine Fragen, es ist weniger ein starres Gespräch als viel mehr ein Geplauder über das was er tut, ihn umgibt, ihn geprägt und seine Leidenschaft geweckt hat. Image 

Benzol: Meine erste Frage: Was gefällt dir daran, auf Tour zu sein, abgesehen davon, dass man viel herumkommt?

Old Seed: Unterstrichen durch das Auto... das ist schon ziemlich lustig oder? Ist das nicht fast ein bisschen poetisch wenn du über das Reisen redest und dann hört man den startenden Motor eines Autos?
Naja, ich habe mal irgendwo gelesen dass es von gewisser Bedeutung ist, als Künstler zu reisen. Man kreiert Kunst aus einer Vorstellung heraus wie die Welt ist und wenn man dann die ganze Zeit in einem begrenzten Raum sitzt ohne irgendwelche Anregungen, erlebt man eben nicht so viel und hat daher auch nicht so viel zu berichten.

Ich reise schon ziemlich lange so umher. Irgendwie regt es meine Kreativität an, außerdem ist es inzwischen schon eine Art von Gewohnheit geworden. Die meisten Freunde aus meiner Jugend haben einen komplett anderen Weg gewählt als ich – sie sind alle verheiratet, haben Kinder, haben Häuser. Ich habe einfach entschieden eine andere Richtung einzuschlagen. Man geht in eine Richtung, gibt andere Wege dafür auf und gewinnt wieder neue. Als reisender Künstler darf ich nicht aufhören mit dem Reisen. Auch weil ich mich daran gewöhnt habe. Ich fühle mich besser wenn ich unterwegs bin als wenn ich irgendwo stillsitze.

Benzol: Ich finde das interessant, zumal die meisten Menschen wohl eher daran gewöhnt sich zu Hause zu bleiben und nicht durch die Welt zu reisen, so wie du das machst. Ist ein anderer Grund für das Reisen, dich und deine Musik überall bekannt zu machen?

Old Seed: Nein, nicht so sehr, und immer weniger je länger ich es tue. Ich glaube als ich jünger war fand ich das interessanter – einen Haufen Leute bei meinen Shows zu haben. Aber ich finde es durchaus angenehm vor 20 Leuten zu spielen. Ich brauche keine 200 oder 500 oder 1000 Zuschauer. Ich glaube dass es den Leuten das nehmen würde, was ihnen an meinen Performances wirklich Spaß macht. Die Intimität. Ich spiele oft Shows die so klein sind, dass ich nicht einmal Mikrophone brauche. Ich habe eine Akustikgitarre und ich habe eine Stimme. Ich kann in einer Küche genauso gut spielen wie auf einer großen Bühne. Trotzdem glaube ich, dass die Intimität besser ist. Es geht mir nicht so sehr darum, die Welt von meiner Musik wissen zu lassen. Du kannst jederzeit auf Myspace gucken wie viele Songwriter da draußen sind. Es ist keine so große Sache. Es ist mehr eine Sache der Gewohnheit. Und es gibt mir die Möglichkeit, mein Herz zu fühlen.

Benzol: Würdest du gern mal vor 1.000 oder sogar 10.000 Leuten spielen?

Old Seed: Um ganz ehrlich zu sein: Würde mich jemand fragen „Hey, hast du nicht Lust vor 10.000 Leuten zu spielen?“ würde ich nicht „Nein“ sagen. Natürlich würde ich das tun! Und sicherlich einiges dabei einnehmen. Womit ich meine Reisen bezahlen und noch mehr herumzukommen könnte.

Ich glaube ich bin sehr realistisch was meine Ziele angeht, und was mir wichtig ist. Würde mir also jemand anbieten vor einer Millionen Leute zu spielen, würde ich „Klar!“ sagen. Die Chance vor 10.000 Leuten zu stehen ist eine unglaubliche Erfahrung. Dennoch ist es kein Ziel, dass ich verfolge.

Benzol: Viele Leute in Deutschland gehen gern auf Festivals...

Old Seed: Rock am Ring und so ein Zeug...

Benzol: Ja genau, oder das Southside/Hurricane… Würdest du gern mal auf Festivals mit anderen Künstlern spielen?

Old Seed: Ich spiele sogar manchmal mit anderen Künstlern auf Festivals. Ich spiele gern mit anderen Leuten, weil es wieder darum geht sich von allem zu isolieren oder eben offen für anderes zu sein. Und wenn du dir das Plakat mit anderen Bands teilst... heute Abend jedenfalls spielen wir nur den Old Seed-Stuff.

Letzten Monat habe ich einige Wochen in England und Schottland verbracht, da waren auch 5 oder 6 andere Acts jeden Abend, abhängig von der Show.

Ich erinnere mich an einen Abend: Der erste Act war ein ziemlicher Screamo/Hardcore Kram. Der zweite Act war total sanft, ein bisschen Nick Drake, ein bisschen Folk. Der nächste war dann ein Typ der irgendwelche Sound-Collagen veranstaltet hat, Sound-Loop-Sachen mit E-Gitarre. Das nächste war eine Stoner Rock Band – und dann ich. Das war alles so völlig unterschiedlich – einfach großartig. Deine Ohren sind nie wirklich gelangweilt von einem Musikstil gewesen. Zudem gab es mir die Möglichkeit viele verschiedene Sachen anzuhören, Sachen die ich mir sonst nie angeschaut hätte, vor allem wenn man nur alleine spielst. Wenn du jeden Abend spielst, jeden Abend arbeitest – dann guckst du dir keine anderen Shows an und siehst also auch nicht was um dich herum so geschieht.

Benzol: Was ich an Festivals nicht mag ist dass man die Bands nicht wirklich in der Weise würdigen könnte als würde man sie einzeln an verschiedenen Abenden sehen.

Old Seed: Es gibt sicherlich einen Punkt an dem das ganze zu unpersönlich und entfernt wirkt. Das letzte große Festival auf dem ich war war das New Orleans Jazz Festival 1998 oder 1999. Santana spielte damals vor 60.000 Leuten. Hätte er einfach eine seiner Platten gespielt, wäre der Sound sicher besser gewesen… Sowas ist zu groß.

Aber es gibt schon einen gewissen Reiz inmitten einer so großen Gruppe zu sein. Aber es ist der gleiche Reiz, den man auch bei anderen Gruppenaktivitäten hat. Wenn man Samstag Nachmittag ins Berliner Stadtzentrum zum Beispiel geht, ist man da auch umgeben von Millionen Menschen und das ist doch ein interessantes Gefühl. Ob das nun unbedingt was mit Musik zu tun hat… Keine Ahnung.

Benzol: Gibt es eine bestimmte Band oder einen Künstler mit dem du gerne touren würdest?

Old Seed:Nein... Nein, eigentlich will ich einfach nur spielen. Ich hab keine Stars oder so. Klar treffe ich gern Leute. Und ich mag es mit Freunden zu touren oder mit Freunden, die ich durch das Touren kennen gelernt habe. Es geht mir aber mehr um die Leute an sich als um irgendwelche Berühmtheit, darum ob jemand bekannt ist oder nicht.

Ich meine sieh dir mal die Indie Szene an: Die ist eigentlich auch nicht anders als die „corporate rock“ Szene. Es ist die gleiche Art von Business – aber mit weniger Budget. Anstatt „Van Halen“ mit hunderten Millionen Dollar im Hintergrund ist es, keine Ahnung, irgendeine „Bloc Party“ mit ein paar hundert Tausend Dollar. Es ist wirklich nicht viel anders. Es ist hier genauso wichtig in die richtigen Magazine zu kommen. Den Leuten wird gesagt was cool ist und was nicht. Vielleicht klingt das ein bisschen zynisch. Aber es ist zumindest eine realistische Auffassung davon. Würde ich nur mit den Leuten touren wollen von denen mir die Medien gesagt haben dass sie cool sind? Natürlich höre ich populäre Indie Musik, populären Metal, nicht so populären Metal, und nicht so populäre Indie Musik und Folk und alte Musik und neue Musik. Aber ich versuche nicht so viel Zeit damit zu verbringen mir sagen zu lassen was gut zu finden habe.

Benzol: Ich meinte weniger den Bekanntheitsgrad der Leute als vielmehr die Musik die du magst. Andere Musiker die du bewunderst. Leute die du auf Konzerten getroffen hast und von denen du dachtest „Wow, was für eine interessante Person.“

Old Seed: Ich hatte eine tolle Zeit mit meinem neuen Freund Tim Hallhose in Großbritannien. Er ist auch ein Songwriter. Er ist ein cooler Typ und wir hatten wie gesagt eine gute Zeit. Sind zusammen in einem kleinen Auto durch das ganze Land gefahren. Das hat Spaß gemacht.

Woddy Guthrie – mit dem würd ich gern ne Show spielen. Leider ist er seit 1967 tot.

Benzol: Meinst du, dass du mit Leuten, die dir ähnlich sind besser zu recht kommst? Die es auch mögen zu reisen und so?

Old Seed: Manchmal. Manchmal nicht. Das hängt wirklich von der Persönlichkeit ab. Es kann schwierig sein. Ich habe einiges erlebt mit Leuten, die mir ähnlich sind. Das kann allerdings einen leichten Ego-Clash geben. Wir Solo-Künstler, wir können schon manchmal ein aufgeblasener Haufen sein. Wir machen unsere eigene Show, machen alles selbst und sind deshalb auch selbstsicher bei dem, was wir tun.

Aber es gab auch Leute die total anders waren – und wir kamen gut zurecht. Ich glaube nicht dass es den einen oder den anderen Weg gibt. Von beidem ein bisschen.

Benzol: In einigen Berichten wurdest du mit Nick Drake und Elliot Smith verglichen. Verängstigt es dich nicht ein bisschen mit Musikern in einem Satz genannt zu werden, die ihr Leben frühzeitig selbst beendet haben?

ImageOld Seed: Nick Drake< hat sich nicht unbedingt selbst umgebracht, es war mehr ein Unfall...eine Überdosis glaube ich. Und Elliot Smith...manche sagen, er sei umgebracht worden. Er hat sich selbst in die Brust gestochen und manche meinen es sei sehr schwer das zu tun. Und dann noch selbst in seine eigene Brust... Entweder ist er drauf gefallen oder jemand anders hat ihn getötet.

Benzol: Es war ein Küchenmesser. Vielleicht war es eine Frau?

Old Seed: Das ist auch eine Sache die behauptet wird, dass seine Freundin ihn umgebracht hat. Ich kenne weder Elliot Smith noch seine Freundin, also werde ich da keine Meinung abgeben. Vielleicht existiert er ja auch gar nicht. Alles was ich von ihm gesehen habe war in Videoform und wir wissen ja alle wie einfach so was zu manipulieren ist. Vielleicht ist er ja nur ein computergeneriertes Bild.

Benzol: Welche Art von Kunst magst du außer Musik? Bücher oder vielleicht Bilder?

Old Seed: Ich mag natürlich Filme. Allerdings gehe ich immer alles von der musikalischen Seite aus an. Wenn ich Filme mag, dann welche mit wirklich guten Soundtracks und wenn ich ins Theater gehe, dann mag ich die Stücke mit guter Musik. Ich habe ein bisschen Theater gespielt, Improvisationstheater, wenn auch mehr als Musiker als als Schauspieler. Und ich habe auch Filme gemacht, sowohl als Schauspieler als auch als Musiker.

Und ich mag Philosophie, Geschichte, Psychologie. Das interessiert mich. Was interessiert mich noch?

Benzol: Das ist doch schon mal einiges! Magst du auch Filme wie „Control“ oder „Walk the Line“ – Filme über Musiker?

Old Seed: Klar. Ich weiß nicht wie oft ich “Ray” gesehen habe. Natürlich, solche Filme sind supergeil. Ich mag auch Rock- oder Musikbiographien. Aber noch mehr stehe ich auf Ennio Morricone Soundtracks, oder Lalo Schiffrin.

Benzol: Gibt es ein Beispiel für Soundtracks die du magst?

Old Seed: Naja, Ennio Morricone, der hat „The Good the Bad and the Ugly” gemacht. Pfeift vogelartige Melodie. Und „Der Pate“ glaub ich auch. Summt. Ich mag die großen Western-Soundtracks wie „Dead Man“. Und ich mag viel von diesem 70s Auto-Verfolgungsjagden Zeug, das durch Lalo Schifrin berühmt wurde. Dann so ziemlich alles was Clint Eastwood angefasst hat. Ich liebe Clint Eastwood. Ich nehme an du hast von ihm gehört? Nein? Den musst du dir aber mal zu Gemüte führen! Alles! Alles worin er gespielt hat, was er geschrieben und produziert hat und wo er Regie geführt hat. Er hat diese unglaublichen Dokus über Musik gemacht. Eine von Charly Parker, eine über „Jazz Piano“, das war ziemlich cool. Er hat „The Unforgiven“ gemacht – wahrscheinlich der beste Western aller Zeiten, wenn du mich fragst. Er ist unglaublich. „Million Dollar Baby“ auch, ich weiß nicht ob du den gesehen hast.

Benzol: Ja, zumindest den hab ich gesehen

Old Seed:lacht Es ist ja nicht so als würde Clint Eastwood Hilfe brauchen damit die Leute zu seinen Shows gehen.

Benzol: Du reist viel – welchen Teil der Welt magst du am liebsten? Ein bestimmtes Land oder einen Kontinent?

Old Seed: Ich mag es immer gerne die etwas abseits der großen Städte gelegenen Orte zu besuchen. Je kleiner die Stadt, desto besser kann man dort die Kultur einer Gegend kennen lernen. Ich meine Berlin ist Paris ist London ist New York ist Toronto, das ist irgendwie fast alles das Selbe. Aber wenn du die kleinen Städte in Deutschland, Frankreich, Kanada oder Amerika besuchst, das ist schon ein bisschen anders.

Benzol: Würdet du sagen, dass Marburg eine Kleinstadt ist?

Old Seed: Nein, ich glaube nicht. Ich bin ein paar Mal hier gewesen und habe auch einige Freunde hier. Es ist mehr eine Studentenstadt als alles andere, oder? Es hat dieses Uni-Element finde ich. Sag du’s mir, du bist ja von hier! Es ist ja auch nah an Frankfurt, oder, wie so eine Satellitenstadt? Es ist doch bestimmt einfach da hin zu kommen und auf Konzerte zu gehen. Es ist nicht weit weg. Bist du Studentin?

Benzol: Ja, bin ich. Hast du mal studiert?

Old Seed: Ja. Ich habe einen Abschluss in Philosophie und Konfliktlösungsstudien. Das ist wie Meditation und Konflikt-Management, hauptsächlich aber Sozialarbeit.

Benzol: Wie lange hast du studiert?

Old Seed: Zu lange. Es war ein Studium, auf 3 Jahre angelegt, für das ich 6 Jahre gebraucht habe. Ich hab mir meine Zeit genommen lacht. Meinen Abschluss habe ich 1997 gemacht.

Benzol: Hast du direkt nach deinem Abschluss entschieden um die Welt zu reisen, Musik zu machen und Shows zu spielen?

Old Seed: Ja und nein…. Ok, die ganze Geschichte: Nachdem ich die Uni beendet habe bin ich ein Jahr arbeiten gegangen um Geld zu sparen. Und all das gesparte Geld habe ich genutzt um nach Afrika zu gehen, dort war ich dann 7 Monate. Von da aus ging ich wieder zurück nach Kanada, wo ich wiederum 3 Jahre blieb, und die Schulden abarbeitete, die ich noch hatte – da ich ja mein ganzes Geld dafür ausgegeben habe nach Afrika zu gehen. Studienschulden und so was. Ich habe dann in vielen Bands gespielt und so. Es muss dann 2002 gewesen sein als ich wieder häufiger unterwegs war. Um 2002 oder 2003 habe ich meine Wohnung aufgegeben und war so viel wie möglich on the road.

Benzol: Auf deiner Homepage habe ich einen Link zu einer veganen Website gefunden. Bist du Veganer?

Old Seed: Nein, ich bin zwar ein guter Vegetarier, aber doch ein eher schlechter Veganer. Ich bin nicht super militant was den Verzicht auf Tierprodukte angeht. Andererseits denke ich schon dass es ein erstrebenswertes Ziel für jeden ist. Ich glaube so etwas wie vegan leben gibt es eigentlich gar nicht, denn es werden doch ständige andere lebende Organismen getötet. Das scheint „Leben“ zu bedeuten – anderes Leben zu vernichten. Wenn du nur deinen Mund abwischst tötest du schon Millionen lebender Organismen. Man muss versuchen zu sehen dass das einfach so ist aber trotzdem sein Bestes versuchen. Es ist viel wichtiger dass die Menschen zumindest davon wissen und versuchen so zu handeln, dass man der Welt möglichst wenig Schaden zufügt. Es geht nicht nur um den Konsum von Tieren, es geht um Konsum an sich.

Benzol: In einer Strophe eines Songs singst du über Gemüse, das schreit wenn es stirbt (Anm: “Wobegone”: … and the soul of a vegetable cries out when it dies…)

Old Seed: Naja, der Teil ist auch ein bisschen zweideutig, denn ein „vegetable“ ist auch ein Begriff für eine Person die keine motorischen Fähigkeiten hat, ein Rollstuhlfahrer zum Beispiel. Eigentlich soll es sagen dass die Seele eines „vegetable“ schreit wenn es stirbt. ER stirbt. Es ist ein bisschen von beidem. Ich kann es nicht wirklich detailliert erklären weil es sonst auch keinen Sinn machen würde Songs darüber zu schreiben. Wenn ich dir einfach sagen würde worum es geht – warum sollte ich dann überhaupt schreiben? Dann könnte ich ja auch einfach es in einem normalen Gespräch erklären… aber ich will durch die Kunst sprechen. Dafür ist sie doch da die Kunst: um Dinge auszudrücken, die wir eben nicht auf eine normale Art und Weise ausdrücken können.

Benzol: Adressierst du in deinen Liedern bestimmte Personen oder kann sich jeder angesprochen fühlen?

Old Seed: Ich versuche meine Songs so vage wie möglich zu halten. Ich will nicht literarisch sein und versuche um jeden Preis metaphorische Texte zu schreiben. Keine Ahnung, warum das trotzdem oft so passiert. Aber eigentlich ist es ganz gut, denn es macht die Texte zugänglicher für alle. Ich schreibe nicht für alleinerziehende Mütter sodass nur diese den Song toll finden können. Weißt du was ich meine? Ich hänge einfach nur Bilder aneinander. Ich kiffe viel beim Schreiben, also... lacht<

Benzol: Die vielen Bilder von Tieren auf deiner Homepage, Esel und Hühner, aber auch die Eichhörnchen die du in einem deiner Lieder besingst – bist du naturnah?

Old Seed: Das sind wieder nur Ideen und Bilder, irgendwie stark zusammen. „Squirrels are nesting in the walls“ ist nur eine Metapher für die Naturgewalt. Eigentlich ist es eine Anspielung auf meinen Vater. Über ihn singe ich recht häufig. Es bezieht sich auf das Haus, in dem ich als Kind den Sommer über mit ihm zusammen gewohnt habe. Die Eichhörnchen haben in der Isolation des Hauses genistet. Es geht ein bisschen darum, dass die Natur am Ende das zerstört, was sich der Mensch eigentlich als Schutz vor ihr aufgebaut hat.

Benzol: Ich dachte es wäre andersrum  - dass sie in den Mauern Nester bauen müssen weil es nicht mehr genug Natur gibt.

Old Seed: Siehst du – deshalb muss ich vage sein in meinen Texten – so dass du es für dich selbst interpretieren kannst.

Benzol: Manchmal muss man eben solche Fragen stellen, weil die Leute wissen wollen was so damit meint. Sie möchten nicht selber denken.

Old Seed: Natürlich wollen sie Antworten. Ich habs aber nicht wirklich so mit Antworten – ich bin mehr für Fragen. Ich hatte mal einen Philosophie-Professor, der meinte die Philosophie sei dafür angesehen, gute Antworten zu liefern, vor allem aber stellt sie die besseren Fragen.

Benzol: Vielleicht hören die Fragen nie auf?

Old Seed: Wie auch immer – Die Welt ist viel zu kompliziert und auf alles eine Antwort zu finden. Das macht es erst wirklich cool. So gesehen ist die Welt ziemlich einfach.

Benzol: Das Konzert heute abend kostet also wirklich keinen Eintritt?

Old Seed: Es kann einfach jeder kommen und niemand muss sagen dass er es sich nicht leisten kann. Und ich muss für mein Geld arbeiten. Je besser ich spiele, desto mehr Leute möchten auch was dafür geben. Es funktioniert in beide Richtungen. Und gerade wenn die Location eher klein ist, klappt das gut. Manchmal deckt es nur die Unkosten. Es scheint auch zu meiner Art von Performance ganz gut zu passen. Es ist einfach offener und gastfreundlicher. Wenn du  also kein Geld hast und trotzdem was sehen möchtest beeil dich und setz dich in die erste Reihe. Das ist cool. Jeder sollte meine Show sehen können.

Benzol: Ich schätze in einer Studentenstadt kann das gut klappen, die haben’s ja meistens nicht so dicke. Ich hoffe dass heute Abend alle kommen!

Old Seed: Ich hoffe dass es gerappelt voll sein wird. Das ist das allerwichtigste – ein volles Haus zu haben.

Benzol:Planst du irgendwelche Projekte für die Zukunft?

Old Seed: Ich bin gerade mit der neuen Platte fertig geworden. Es ist eine 10 inch EP, mit einer gebrannten CD dabei. Also ist es egal wenn man keinen Plattenspieler hat – völlig egal weil ja eine no rmale CD auch dabei ist! Also wenn man keinen Plattenspieler hat – trotzdem kaufen! Die CD ins i-tunes packen und die Platte an die Wand nageln. Sie heißt „Simple Tales of Morality“ und sie ist erst heute geliefert worden. Ich bin ziemlich aufgeregt. Den Sommer über touren wir ziemlich intensiv, ein paar Festivals, einige Shows in Deutschland. Nächsten Monat sind wir in Frankreich und Belgien, im August dann wieder in Großbritannien. Im Oktober kündige ich den Job den ich hier die letzten paar Jahre hatte. Ich lebe jetzt einige Jahre in Deutschland und toure längst nicht so viel wie ich das gewöhnt bin – ab Oktober bin ich wieder nonstop-full-time Tourer!

Benzol: Was hast du denn gearbeitet?

Old Seed: Sozialarbeit in einer Kleinstadt.

Benzol: Sprichst du Deutsch?

Old Seed: Ja, aber sehr schlecht.

Benzol: Warum machen wir das hier dann auf Englisch wenn du auch Deutsch sprichst?

Old Seed: Weil ich auf Deutsch nicht wirklich über meine Kunst reden kann. Das ist zu schwer.

Benzol: Ja, das Sprachproblem kenne ich...

Old Seed: Ganz genau, vielen Dank... lacht Du bist auf jeden Fall besser drin als ich, oder? Naja, ich lerne erst seit 2 Jahren Deutsch.

Benzol: Sprichst du irgendwelche anderen Sprachen?

Old Seed: Französisch, ich komme ja aus Kanada.

Benzol: Ein Freund von mir war mal für ein Jahr in Kanada. Er meinte dass viele Leute in Französisch-Kanada überhaupt kein Englisch sprechen.

Old Seed: Nicht in der Kleinstadt. Aber wenn du in eine Kleinstadt im englischsprachigen Kanada gehst, sprechen die da auch kein Französisch. Französisch ist zwar die offizielle zweite Sprache, aber jeder spricht Englisch. Jeder auf der Welt spricht Englisch. Es ist scheiße Englisch als Muttersprache zu haben! Es ist so schwer andere Sprachen zu lernen, weil automatisch jeder ins Englische wechselt – it pisses me off.

Benzol: Man wird faul wenn einen alle verstehen...

Old Seed: Absolut. Menschen die Englisch nicht als erste Sprache sprechen scheinen sehr motiviert zu sein Englisch zu lernen, einfach weil es die Weltsprache ist. Egal ob man Deutscher oder Franzose oder sonstwas ist – Englisch gibt dir auf der ganzen Welt mehr Möglichkeiten. Wenn du reist und einen Typen aus Belgien triffst, aus China, Togo und aus Mexiko – du sitzt mit ihnen zusammen und sprichst welche Sprache? Englisch - obwohl keiner von euch das als Muttersprache spricht. Wir Englischsprechenden sind schon irgendwie gearscht. Es ist ein bisschen traurig.

Benzol: Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht: Würde niemand außer den native speakers Englisch sprechen würde auch keiner die Message deiner Songs verstehen.

Old Seed: Was bist du nicht positiv! Gute Sache. Hört sich großartig an.

Benzol: Danke dass du dir die Zeit genommen hast.

Old Seed: Danke!

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