2010/12/18

[Interviews] William Fitzsimmons

Auf das Gespräch mit so manchem Künstler freut man sich im Vorfeld schon tagelang. William Fitzsimmons war bei mir einer dieser Kandidaten. Als studierter Psychologe und gelernter Therapeut war er mit Sicherheit kein Mann der wenigen Worte und seine Biographie ließ zudem die ein oder andere interessante Frage zu. Im Frankfurter Mousonturm wurde er mir vergangenen Dienstag für 20 Minuten zur Seite gestellt.

Schnell wurde jedoch klar, dass der Zeitrahmen für meine im Vorfeld ausgearbeiteten Fragen nie und nimmer reichen würde. William erzählte viel und gern und ihm zuzuhören machte wahre Freude. Nachdem er hinsichtlich meines Elliott Smith-Shirts völlig aus dem Häuschen war, hatte sich meine Fragenspannweite noch um ein weiteres vergrößert – die Zeitvorgabe blieb jedoch die Selbe. Nichtsdestotrotz wurde der gesteckte Rahmen äußerst gut genutzt und der herzensgute Folkmusiker gab bereitwillig Auskunft zu seiner Musik und noch weit darüber hinaus.

Zu Beginn wie immer die obligatorische Frage: Wie läuft die Tour bisher?
Oh, sie läuft hervorragend. Alles ist wundervoll und ich kann sagen, dass es die beste Band ist, mit der ich je auf Tour war. Ende 2008 war ich das erste Mal hier in Frankfurt und letztes Jahr habe ich in Wiesbaden gespielt, was ja relativ nah ist. In Frankfurt spiele ich also heute zum zweiten Mal und freue mich natürlich.

Du hast vor Kurzem dein neues Mini-Werk „Derivatives“ veröffentlicht, auf dem man verschiedene Remixe von deinem Album „The sparrow and the crow“ finden kann. Mich interessiert, wie du die Leute ausgewählt hattest, die für dich an die Songs herangegangen sind und sie verändert haben.
ImageEigentlich ist das alles ziemlich zufällig passiert und nicht sehr organisch abgelaufen. Als wir damit angefangen haben, dachte ich zuerst, dass es eher eine schlechte Idee sei. Weißt du, es sind nun mal ganz spezielle Songs – Folklieder eben. Ich habe zwar schon einige gute Remixe von Folksongs gehört, dazu gehört vor allem das Remix-Album von Kings of Convenience, welches Versus heißt.  Aber für meine eigenen Lieder habe ich nie geglaubt, dass es gut funktionieren würde. Ein Freund von mir, der in Berlin lebt, hat mir einige Lieder von sich vorgespielt, die Freunde von ihm wiederum geremixt hatten und sie gefielen mir sehr, sehr gut. Das war der eine Part, der nun einige Lieder zu meinem Album zusteuerte. Zudem haben wir einen Contest gemacht, bei dem auch andere Leute die Chance hatten, es auf das Album zu schaffen. Letztendlich hatten wir eine unfassbare Menge an Remixen, von denen es aber leider nicht alle auf „Derivatives“ schaffen konnten. 

Du hast einmal in einem Interview gesagt: “I came to a place with the "Sparrow" record where I didn't want to live in the somberness of the songs forever”. Kannst du dieses Statement ein wenig näher erleutern?
Nun, diese Platte ist zu einem Zeitpunkt entstanden als es mir ziemlich schlecht ging. Ich habe sie aus einem bestimmten Grund geschrieben und jedes Lied hat seinen eigenen Zweck und seine eigene Bedeutung für mich. Nach einigen Jahren scheine ich von alldem scheinbar geheilt und ich wollte diese Lieder einfach nicht in fünf Jahren erneut hören und mich dabei mies fühlen, bzw. mich in diesen schlechten Zustand zurückversetzen lassen. Somit war diese Arbeit für mich eine Art, mich an die alte Zeit zu erinnern, jedoch nicht zwangsweise mit einem schlechten Gefühl. Speziell wollte ich  dadurch ein wenig Positivität in die Lieder einfließen lassen. 

Gibt es eigentlich einen speziellen Grund, warum du „I kissed a girl“ von Katy Perry auf diesem Album gecovert hast?
(lacht) Ich mag es, wenn man aus Liedern eine gewisse unterschwellige Bedeutung herausholen kann, die auf den ersten Blick überhaupt nicht vorhanden zu sein scheint. Eines meiner Lieblingscover ist das Kylie Minogue-Lied „Hand on your heart“ von José González. Er hat diesen kitschigen Bubblegum-Popsong in ein wirklich bedeutungsvolles Akustikstück verwandelt und obwohl er die Akkorde beibehalten hat, drehte er die Bedeutung des Stückes einfach um. Genau das hat mir gefallen und war ausschlaggebend für mich.

Gibt es denn eine spezielle Art und Weise, wie du neue Stücke schreibst? Wie sieht dein Songwritingprozess aus?
Eigentlich ist er ziemlich gewöhnlich. Ich fange fast immer damit an ohne bestimmten Zweck zu musizieren und setze mich nie hin, um gezwungenermaßen ein neues Stück zu schreiben. Das funktioniert einfach nicht und dabei würde auch nichts Sinnvolles herauskommen. Meistens setze ich mich mit meiner Gitarre hin und nehme das Gespielte am Computer auf. Wenn ich in einer bestimmen Stimmung bin, dann fließen die Ideen geradezu. Auf etwa 20 Stücke kommt dann aber in etwa nur einer, der mir auch wirklich gefällt und etwas Spezielles hat.

Also hast du im Grunde genommen einen ziemlich großen Output.
(lacht) Ja, einen ziemlich großen Output an Schrott. Aber einen ziemlich geringen Output an Liedern, die wirklich gut sind. Aber ich glaube, dass die Art wie ich Lieder schreibe, ziemlich normal ist. Jedenfalls wenn ich das mit anderen Musikern vergleiche. Also ich muss nicht erst auf die Spitze eines Berges gehen und mich dort betrinken, damit ich neue Ideen bekomme.

Ist der Prozess des Songschreibens für dich als gelernter Psychologe auch eine Art der Selbstreflexion? Wissend, dass man Gedanken die man im Kopf hat, auch herauslassen muss. Sich sozusagen von ihnen befreien muss.
Oh, das ist eine hervorragende Frage. Damit bringst du es tatsächlich auf den Punkt. Es hat sich für mich gezeigt, dass es mir selbst und auch anderen Menschen, die meine Musik hören, tatsächlich hilft. Es ist eine wundervolle Form der Therapie, jedoch nicht perfekt. Wenn sie perfekt wäre, dann würde Elliott heute noch leben. Jeder von uns hat in irgendeiner Form seine Dämonen und seine Probleme und bei jedem kommen sie mehr oder weniger heraus. Deswegen ist es auch wichtig, funktionierende Beziehungen zu führen.

Was wäre denn deiner Meinung nach der Musik als Therapie hinzuzufügen, damit sie eine bessere Wirkung hätte?
ImageGesprächstherapie. Das ist alles, was du brauchst. Und vor allem braucht man gute, funktionierende Beziehungen, obwohl jeder von sich behauptet, dass er sie hätte. Was aber häufig nicht stimmt. Es gibt wirklich so wenige Leute die immer sagen können, dass sie jemanden in ihrem Leben haben, der immer für sie da ist und ihnen immer zuhört. Eine der Hauptschulen der Psychotherapie, welche in den 50er oder 60er Jahren entstand, war die der Humanistik. Einer der Hauptvertreter war Carl Rogers, der verschiedene Ideen als wichtig ansah: Zum Einen sollte man einem Menschen gegenüber mit einer uneingeschränkten, positiven Würdigung gegenübertreten und ihn somit so akzeptieren, wie er ist. Zudem sollte man die Fähigkeit der Empathie besitzen und sich somit in die Lage von anderen versetzen und mit ihm mitfühlen können. Zuletzt nannte er noch den Begriff der Integrität. Wenn diese drei Punkte nicht vorhanden sind, dann wirst du immer irgendetwas mit dir herumtragen, was heraus möchte und was dazu führt, dass du Probleme bekommst. Es tut mir leid, dass ich so viel darüber erzähle, aber du hast ein sehr spannendes Thema angeschnitten. Es gibt so viele Leute, die weniger Probleme hätten, wenn sie sich in funktionierenden Beziehungen befinden würden. 

Siehst du denn selbst einige grundlegenden Gemeinsamkeiten zwischen den Berufen des Musikers und des Psychologen?
Oh ja, die gibt es auf jeden Fall. Ich glaube auch, dass sie wirklich ähnlich sein können. Wenn du oben auf der Bühne stehst, herumschreist und ins Publikum spuckst, dann vielleicht nicht unbedingt. Obwohl – für manche sicherlich schon. Es ist aber wirklich so, dass man – wenn man oben auf der Bühne steht – den Menschen das Gefühl gibt weniger seltsam zu sein, wenn man so ist, wie sie selbst. Selbst wenn du ehrlich über dunkle, traurige Sachen singst, dann ist manch einer damit weniger allein. Wenn Sufjan Stevens darüber singt, dass ihn das Leben, der Tod, die Religion und vieles Weitere sehr verwirren, dann sagt man sich: Wow, ich bin da tatsächlich nicht der einzige. Das führt dazu, dass ich mich normal fühle und eben nicht so allein.

Lass uns mal ein wenig über deine Musik in Grey´s Anatomy sprechen. Wie sind die Verantwortlichen von der Produktionsfirma eigentlich auf dich Aufmerksam geworden?
Es war wirklich, wirklich seltsam. Ich war zu diesem  Zeitpunkt in keinster Weise ein Musiker, sondern ein Vollzeit-Therapeut. Musik war für mich etwas völlig nebensächliches und ich hatte eine Myspace-Seite mit etwa vier Liedern erschaffen. Irgendwann schrieb mir eine Frau und meinte, dass sie für eine Firma arbeitet, die Hintergrundmusik für Filme und das Fernsehen im Allgemeinen auswählt und dass sie meine Musik gerne für eine Fernsehserie benutzen würde. Ich habe ihr nur geantwortet, dass ich ihr nicht glaube. Aber ich hatte natürlich auch nichts zu verlieren, da es für mich nur ein Hobby war und ich auch noch keinen Plattenvertrag hatte. Später rief sie mich an uns sagte: Grey´s Anatomy will eines deiner Lieder spielen. Und ich glaubte ihr immer noch nicht sondern dachte eher, dass sie mich abzocken wolle. Nun ja, eines Tages saß ich dann bei einem Kumpel herum und wir schauten eben jene Folge von Grey´s Anatomy und dort lief plötzlich mein Lied. Und ich schätze, sie hatte die Wahrheit erzählt (lacht). Das war natürlich ein wirklich enormer Startschuss für mich, aber das passiert so in der Regel natürlich nicht. Ich hatte da wirklich viel Glück. Normalerweise musst du jahrelang Touren und dir eine Fangemeinde aufbauen, was in meinem Fall selbstverständlich viel schneller ging. 

Findest du denn, dass deine Lieder in einem angemessenen Rahmen verwendet wurden? Soweit ich weiß wurden sie während eines schönen Momentes (einer Liebesszene) und eines traurigen Moments (einem Todesfall) eingespielt.
Ich denke im Allgemeinen wurden sie ziemlich gut eingesetzt. Ich glaube, dass Lieder für jeden Menschen unterschiedlich wirken und somit auch eine ganz eigene und unterschiedliche Wirkung entfalten können. Wenn wir zwei jetzt den gleichen Song hören würden, dann könnte er völlig unterschiedlich auf uns wirken. Du könntest dich dabei vielleicht schuldig und schrecklich fühlen, während ich mich dabei hervorragend fühle. Deswegen können wir auch irgendwie alle etwas mit Michael Jackson anfangen, da er für jeden von uns etwas Unterschiedliches bedeutet. Viele Leute glauben aber leider, dass Folk- und Indiemusik dem Fernsehen fernbleiben sollte und dafür nicht benutzt werden darf. Ich kann diese Einstellung auch in gewisser Weise respektieren, aber als ich das erste Mal Nick Drake gehört habe, habe ich einen Volkswagen-Werbespot gesehen. Sie spielten „Pink Moon“, während ein Cabriolet zu sehen war. Habt ihr dieses Cabriolet bei euch gehabt?

Gute Frage, aber ich gehe stark davon aus.
Du hast recht. Es ist ja schließlich Volkswagen (lacht). Viele fanden das zum damaligen Zeitpunkt schrecklich, aber ich verstehe nicht warum. Es ist doch klasse, wenn ein Millionenpublikum ein Lied von Nick Drake zu hören bekommt, anstatt dass es für immer seine Integrität behält und fest in seiner Nische bleibt.

So ist es. Besonders aber im Bereich der Indieszene gibt es enorm viele Leute, die den Künstler für sich beanspruchen wollen und große Angst davor haben, ihn an ein großes Publikum zu verlieren. Und wenn sie dann ein Lied von José González in einer Sony-Werbung sehen sind sie enttäuscht.
Du hast so recht. Und ich komme gerne noch einmal auf Elliott zurück, der sich jetzt seit zwanzig Minuten in meinem Kopf befindet: Ihm ist ja das Gleiche passiert. Er hat bei den Oscars gespielt und wurde schlagartig bekannt und hat immer größere Konzerte gegeben. Wenn er nicht gestorben wäre, hätte er sicherlich vor einem immer größer werdenden Publikum gespielt und viele Fans aus den Heatmiser-Zeiten hätten sich noch mehr von ihm abgewandt. Ich war früher eigentlich auch so ein Musik-Snob, aber mittlerweile weiß ich, wie dumm das ist. Ich bin der Meinung, wir zwei sollten ein Buch zusammen schreiben.

Um noch einmal auf deine plötzliche und glückliche Entdeckung zurückzukommen: Es ist doch wirklich seltsam, dass es – jetzt am Beispiel Myspace – so viele gute Musik gibt, die die Herzen von millionen Menschen berühren könnte. Diese bleibt jedoch fast komplett ungehört, weil hier das Quäntchen Glück fehlt, was du hattest. Glaubst du selbst an Schicksal?
Ja, das tue ich. Ich denke, dass das Leben voller verschiedenster Zufälle sowie Unfälle ist und dass es nicht gradlinig verläuft. Alles passiert aus einem bestimmten Grund – da bin ich sicher.

Wir sind quasi schon über die Zeit, aber ich habe noch ein paar Fragen. Deshalb ab jetzt kurze Fragen und kurze Antworten. Ich habe gesehen, dass du aus einer Großstadt wie Pittsburgh mit 350.000 Einwohnern in einer Kleinstadt wie Jacksonville mit 20.000 Einwohnern gezogen bist. Wie kam es dazu?
Nun, Pittsburgh beinhaltete viele schlechte Erinnerungen an mein früheres Leben. Ich liebe Pittsburgh und habe dort auch die ersten 18 Jahre meines Lebens verbracht, aber dort haben sich zu viele für mich traurige Erinnerungen befunden. Meine Familie lebt dort heute noch und wenn ich in dieser Stadt Shows spiele, dann bleibe ich anschließend nie dort. Ich fahre immer sofort weg, da es sehr schwer ist für mich mit all dem konfrontiert zu werden.

Welche Platten hörst du derzeitig auf Tour?
Ich habe in den letzten Wochen sehr viel Zeit auf der Seite von Daytrotter Sessions verbracht, wo ich mir Musik heruntergeladen habe. Ich habe dort auch eine Session gespielt und man findet dort enorm viel Musik von Bands umsonst, die dort an analogem Equipment eingespielt wird. Zum Beispiel Bon Iver, The new pornographers und so weiter. Auf jeden Fall ein Besuch wert.

 Photos: William Fitzsimmons Myspace

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