Giftschlammkatastrophe, Finanzdebakel, Politikrechtsruck,
The Great Bertholinis. Alles das hört man in letzter Zeit aus und über Ungarn. Gibt es da einen Zusammenhang?
Meine Freundin, eine Ungarin, hat mir verboten, diesen Artikel so anzufangen. Was habe das Zeitgeschehen mit Musik zu tun? Meiner Meinung nach nicht unbedeutend viel: Musik ist immer Ausdruck einer Zeit, spiegelt Einstellungen und Lebensgefühl einer Gesellschaft wieder.
Nun kann ich leider nicht sagen, inwiefern die Bertholinis, als Exilungarn, ihrem Land noch Aufmerksamkeit schenken – eine Frage die hoffentlich im Interview im Januar 2011 geklärt werden kann. Deshalb beschränken wir uns auf’s musikalische des dritten Albums der Band mit dem komischen Namen,
„Gradual Unfolding of A Conscious Mind“ heißt es und ist ganz schön gut.
Wo bewegen wir uns musikalisch? Tendenziell würde ich sagen weniger in Ungarn, als auf dem Balkan, vielleicht sogar in traditionell jüdischen Gefilden. The Great Bertholinis klingen viel nach Klezmer, außerdem viel nach der Musik, die Monsieur Sarkózy indirekt aus Frankreich verbannen will, und zuletzt irgendwo auch noch nach Indierock. Ich paraphrasiere mal: Eine Menge Musiker, acht an der Zahl, haben eine Menge verschiedene Instrumente dabei – Streicher, Bläser, Zupfer – und schmeißen alles in einen großen Gulaschtopf gefüllt mit abwechslungsreichen, melodiösen, angenehmen und kreativen Tönen, mal schneller, mal langsamer. Zu allgemein? Dann weiterlesen.
Hervorheben möchte folgende Songs:
„Lucky Pinto“ ist ein dermaßen fröhliches Lied, dass es mir pausenlos ein Lächeln auf die Lippen zaubert.
„Lost The Key“ ist atmosphärisch so dicht, dass sonst nicht viel vom Raum übrig bleibt, in dem man gerade sitzt.
„I am Can“ flowt und groovt und chillt wie kein zweites vor sich hin.
„The Things I Gave“ handelt in meinem Kopf von einem gigantischen Spielzeugladen mit überdimensional großer Verkaufsware, und am Ende machen alle eine große Party.
„Puzzle with a Million Thoughts“ hat die perfekte Fröhlichkeitsmelancholiemischung die es heutzutage braucht.
„Zucker Serenade“ ist ein hervorragendes modernes Klezmer-Stück. Und das war erst die Hälfte der Platte.
„The bright days have come“ lautet der erste Satz des Albums, und wer soll da nicht an Politik denken? Und trotzdem: All die schlechten Dinge, die man zuletzt aus Ungarn vernahm, die haben nichts mit
„Gradual Unfolding of A Conscious Mind“ zu tun. Denn dieses Album ist ein gutes Ding. Und als Zugeständnis an meine Freundin: Es ist nicht das einzige gute Ding aus diesem Land.
Übrigens: Wer als erster eine Mail mit dem Inhalt „Paprika“ an
flo@benzol-mag.deDiese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst Javascript aktivieren, damit du sie sehen kannst schickt, bekommt zwei Freikarten für ein Bertholinis-Konzert nach Wahl: Entweder in Gießen (11.12.2010), oder in Marburg (15.01.2011), in Frankfurt (11.02.2011) oder in Fulda (18.02.2011)!
VÖ: 22.10.2010 Hazlewood Vinyl