2010/12/15

[Konzerte] Old Seed - 17.04.2008 - Support: Fehlanzeige - Waggonhallen/Marburg

Old Seed spielt nicht auf einer Bühne, er spielt in einem Wohnzimmer - vielleicht etwas größer als das der meisten. Doch weist es sonst alle Eigenschaften eines solchen Raumes auf. Gepolsterte Sitze, Couchen, Sessel, Decken, Kissen.  Das Lagerfeuer-Feeling wird an diesem noch etwas kühlen Aprilabend in Form eines Kamins ins Haus geholt. Für das Publikum beginnt ein Abend Singer-Songwriter Genuss. Eben noch auf einer der Couchen sitzend, begibt sich Craig Bjerring a.k.a. Old Seed zusammen mit Sascha Schmitt in den vorderen Teil des Wohnraumes. Hier genügen ihnen zwei Klappstühle, die Instrumente und ein wenig Equipment um den vermeidlichen Fernseher in jähe Vergessenheit geraten zu lassen.

Old Seed beginnt mit einem Instrumental, welches – ausnahmsweise – nicht von ihm selbst stammt. Es folgen Lieder wie „Queen oft he French Farewell“ oder das Banjo-begleitete „Blood“, beide auf der neuen Platte zu finden, die das Publikum in Emotionen fesseln.  Die besungene Jämmerlichkeit in „Woebegone“ benötigt seine Semantik nicht. Ist es doch Craigs Stimme, in Kombination mit der Gitarre und den doch wehklagenden Tönen des Akkordeons, welche die Bedeutsamkeit des Wortes erübrigen. 

Nachdem er die Musik hat sprechen lassen, sind seine folgenenden Worte direkt an seine Zuhörer gewandt:  „This is an interactive evening…“, legt die Vermutung nahe,  dass Old Seed sich nicht als Lehrenden sieht, der sein Wissen lediglich zu vermitteln sucht. Vielmehr möchte er doch einen Austausch mit seinem Publikum, möchte sie an seinen Erfahrungen teilhaben lassen und auch an ihren Erfahrungen teilhaben. Ist das Sammeln von Erkenntnissen doch ein Grund weshalb es Craig schon seit vielen Jahren hinaus in die Welt zieht. Zur Ruhe kommt er dann wenn er sich wie an diesem Abend in Marburg, in ein großes Wohnzimmer setzt, und für eine handvoll Menschen an seinen Reisen teilhaben lässt – über die Musik.

Besonders auffälliges ist der Umgang der beiden Musiker mit ihren Instrumenten. Craig der aktive, Sascha der Zurückhaltende, der Begleiter. Craig hält seine Gitarre auf eine interessante Art und Weise. Er hat sie nah bei sich und dennoch gibt es eine gewisse Distanz zwischen den beiden. Die auffallend starre Körperhaltung Craigs, fast als müsse er sein Instrument mit Kraft festhalten, vielleicht zähmen, verdeutlicht dies. Mal streicht er sie sanft an, als kitzele er sie, dann wieder schlägt er betörende Akkorde, als müsse er sie zwingen die gewünschten Töne von sich zu geben. Sascha scheint im Gegensatz zu Craig mit seinem Akkordeon zu verschmelzen, scheint es umschlingen zu wollen. Den Kopf auf es legend, als sei es sein wertvollster Schatz, untermalt er die Lieder, verleiht eine Atmosphäre. Wie es sich auf und zufächert wie ein lebender Organismus, stellt das Akkordeon für die traumhafte Musik Old Seeds ein beruhigendes Objekt dar, auf welchem der Blick ruhen bleibt, um die Musik in sich aufzunehmen.

So ungewöhnlich die Lokation und das Musiker-Gespann, so ist es auch die Gage. Für den Abend gibt es keinen festgesetzten Eintrittspreis, das Konzept lautet: Jeder zahlt so viel er kann. Zur Pause geht dann ein schwarzer Hut durch die Reihen, welcher zum Tausch von Spenden gegen Erdnüsse einlädt. Mutet diese Regelung vielleicht etwas samariterlich an, liefert Craigs Kommentar „if you give nothing god will punish you…“ eine humorvolle Relativierung. Dennoch enthält sie einen ernsten Kern:  Auch ein Konzert in privater, freundschaftlicher Atmosphäre benötigt einige finanzielle Mittel um seine Realisierung in allen Himmelsrichtungen finden zu können.

Diese werden neben den Spenden über den Plattenverkauf erreicht. Das multifunktionale Wohnzimmer, welches bis zum Zeitpunkt bereits Bühne, Zuschauerraum und Bar in einem darstellte, fungiert in der Pause auch als Merchandisestand. Betrieben wird dieser, wie nicht anders zu erwarten war, von Craig und Sascha. Die 10-Inch EP „Simple Tales Of Morality“  ist nicht nur durch ihren putzigen Katzenkopf gut durchdacht weil kaufanregend, auch eventuelle Engpässe bezüglich eines Plattenspielers wurden mit einkalkuliert und kurzum eine CD-Kopie beigelegt.

Kaufanregend sind in jedem Sinne auch die nächsten Minuten musikalischen Genusses. Mit seinen Liedern erschafft Old Seed eine akustische Räumlichkeit. Durch den Wechsel von leisen, zarten Gesängen zu straken, durchdringenden Tönen, vermag er es sein Publikum die Tiefen des Raumes erfahrbar zu machen, wie in „You’ve got nothing but light, let it shine“. Zuweilen schafft er dies ohne jegliche instrumentale Begleitung, mit der bloßen Kraft seiner Stimme:  so singt er eine einzelne Textzeile immer wieder, und jedes Mal so wohltuend, dass man sich wünscht er würde niemals damit aufhören.  

Nach seinem vorerst letzten Stück, setzt sich Craig zurück auf das Sofa, als warte er selbst auf die Zugabe. Den Abend beendet er schließlich mit dem schnelleren Song „Evil Eye“, welcher dazu dienen soll, alle wieder aus ihrer Traumwelt zurück in die Realität zu holen. Denn das ist es, was Craig mit seiner Musik vermag: sein kleines Publikum an den Erfahrungen seiner Reise teilhaben lassen, sie gewissermaßen entführen in die weite Welt, und sie schließlich wohlbehalten wieder im Wohnzimmer absetzen, wo sie sich gerne an diesen kurzen Traum zurück erinnern. 

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